Agentur-Probleme: Verantwortung ist immer nach unten gerichtet
Agenturen haben gerade viele Probleme, und es müssen neue Wege gefunden werden, wie man mit der sich verändernden Wirtschaft, Gesellschaft und Weltsituation umgeht. Ein riesiges Problem ist, dass bisher niemand einen funktionierenden Ansatz gefunden hat – oder auch nur eine Idee, wie man überhaupt einen solchen Ansatz entwickeln könnte. Ich habe es selbst versucht und musste mir eingestehen: Ich hatte nicht nur keine gute Idee, sondern nicht einmal eine schlechte.
Fehlende Kunden, KI, schlechte Wirtschaftslage – das alles lässt sich grob zusammenfassen mit: „Es fehlt das Geld, um etwas zu tun.“
Um als Agentur weiter existieren zu können, braucht man Kunden, die nicht nur den Status quo bezahlen, sondern auch genug Geld mitbringen, um Freiräume zu schaffen – um neue Wege zu gehen, Risiken einzugehen, auch mal zu scheitern. Aber genau dieses Geld ist bei den Kunden heute nicht mehr vorhanden. Gleichzeitig ist ihre Kompetenz gestiegen – sie stellen plötzlich unangenehme, weil sehr gezielte und berechtigte Fragen.
Vor fünf Jahren hat man eben 2000 € für etwas bezahlt, ohne dass ganz klar war, warum – weil es lief und das Geld da war.
Heute ist der Kampf um Kunden voll entbrannt. Jetzt muss man sich kompetent, professionell und innovativ präsentieren. Auch Verträge müssen so formuliert werden, dass nicht bei einem Problem gleich das ganze Projekt oder gar die Firma scheitert.
Das Sales-Department ist gefragt – und soll liefern. Was viele vergessen: In Agenturen spielen die Entwickler eine zentrale Rolle bei der Kundenakquise. Warum? Weil der Kunde mit seinem eigenen IT-Menschen kommt – und der zerlegt jeden Sales-Mitarbeiter argumentativ in der Luft. Sales können verkaufen, aber haben oft keine tiefere Ahnung vom Produkt oder der Dienstleistung. Deshalb sprechen am Ende meist Entwickler mit Entwicklern – oder mit Leuten, die selbst mal programmiert haben.
So kommt man auf einen gemeinsamen Stand, mit dem beide Seiten leben könnten.
Aber: Der Entwickler entscheidet nichts. Dann kommt wieder Sales – und es wird kompliziert. Die wollen mehr Geld, bessere Positionen. Wenn Entwickler verhandeln, kommt selten ein Deal dabei raus, der den Kunden „über den Tisch zieht“. Aber wenn mit ehrlicher Arbeit kein Geld mehr verdient wird, entsteht Druck – und dann sucht man eben doch Wege, irgendwie Geld rauszuholen. Auch wenn es nicht ganz sauber ist.
Sales gibt die Richtung vor. Das C-Level will: mehr Geld bei weniger Aufwand. Entwickler? Die kündigen womöglich, wenn der Druck zu groß wird. Verzögerungen? Möglich. Wenn schon die letzten Projekte nur „okay“ liefen, weil der Kunde über Probleme hinweggesehen hat und man Features nachliefern durfte, will man nicht an einen Kunden geraten, der vor Gericht um sein Geld kämpfen würde.
Also wird umformuliert, Zeiten angepasst. Nicht das Ergebnis soll bezahlt werden, sondern die Arbeit. Entwickler werden aus der Kommunikation genommen – weil sie zu ehrlich waren, sich zu gut mit dem Kunden verstanden haben.
Stattdessen schickt man eine Welle aus Inkompetenz los, um dem Kunden zu „zeigen“, dass er keine Ahnung hat und es für ihn besser sei, mehr für weniger zu zahlen. Aussagen wie: „Ein Pflichtenheft ist nur zum Nachteil des Kunden, weil er dann nicht mehr flexibel genug ist.“ – als ob es die letzten Male der Kunde gewesen wäre, der die Probleme verursacht hat.
Kommen wir zurück zum Punkt: Kunden sind kompetenter und stellen gute Fragen.
Sie wissen, dass nicht sie sich um die Agentur bemühen müssen, sondern umgekehrt – und das machen sie auch deutlich.
Plötzlich ist der Entwickler wieder gefragt, weil er sich ehrlich mit dem Kunden auseinandergesetzt hat. Wenn man in so einer Situation landet: Nicht mitmachen!
Es gibt einen Grund, warum plötzlich wieder Leute zurückgeholt werden, die schon raus waren oder nie dabei sein wollten. Es ist bereits zu spät – jetzt geht es nur noch darum, zu erklären, was der Kunde sehen will und warum er Recht hat.
Sales sagt nein.
Der Entwickler antwortet: „So geht es nicht weiter – genau deshalb sind wir jetzt in dieser Situation.“
Wenn man so weitermacht, verliert man den Kunden.
Und dann passiert etwas, das ich so noch nie erlebt habe:
Der Sales-Mitarbeiter sagt, es sei ihm egal – er würde für nichts, was er getan, gesagt oder noch sagen wird, die Verantwortung übernehmen.
Alle im Meeting nehmen das hin. Kein Widerspruch. Weiter im Text.
Was soll nun geschehen? Soll der Entwickler noch mal versuchen, den Kunden mit Argumenten zurückzuholen?
Auf keinen Fall!
Der Entwickler würde an allem Schuld sein.
Der Kunde würde das Problem allein bei ihm sehen – schließlich hat er auf das vertraut, was der Entwickler ihm vermittelt hat. Und das wurde nicht geliefert. Unter dem Subtext: „Eigentlich müsste man dich feuern.“
Wenn man wirklich, wirklich unfassbares Glück hat, merkt der Abteilungsleiter irgendwann, dass man nur das getan hat, was Sales gefordert hat – und er war dabei, als alle Bedenken vom Tisch gewischt wurden. Man hatte sich bewusst gegen die Wünsche des Kunden entschieden.
Und dann erkennt man:
Der Abteilungsleiter hat einfach nicht mitgespielt beim Spiel der Verantwortungsschieberei.
Die Verantwortung wandert immer nach unten.
Der Klassiker „Das war der Azubi“ ist bittere Realität – blöd nur, wenn man keinen Azubi hat. Dann bist du schuld.
Aber zum Glück ist das kein Problem, mit dem man leben muss – also nicht das Weiterreichen von Verantwortung an sich, sondern solche Abteilungsleiter. Wozu braucht man die überhaupt? Sie stehen nur im Weg, wenn das C-Level, das längst keinen Bezug mehr zum Alltag hat, seinen Frust direkt auf die Entwickler abregnen will. Und Entwickler? Die beschweren sich nicht – und wenn doch, sind sie zum Glück in einer Gehaltsklasse, auf die man nicht hören „muss“.
Am Ende bleibt die alte Erkenntnis:
Du HAST nicht Schuld.
Du BEKOMMST die Schuld.